Felix Klopotek, 1974 geboren, lebt und arbeitet in Köln (u.a. als Musikredakteur der StadtRevue, als Autor für Jungle World und als Produzent für das Improv/ Neue Musik-Label GROB, früher auch als Konzertveranstalter). Arbeitet an einem Buch über Improvisierte Musik und Free Jazz, "That's How They Do It", dass 2002 im Ventil-Verlag erscheint.

Der Vortrag hat zum Schwerpunkt: Europäischer Free Jazz - was ja kein absurde Genreunterteilung ist, wie meinetwegen: schwedischer Rock. Europäischer Free Jazz markiert einen deutlichen Bruch in der Entwicklung des Jazz. Europäischer Jazz war bis dahin (das meint: 1966) von Europäern mehr schlecht als recht gespielter amerikanischer Jazz. Erst mit den ersten Manifestationen des Free Jazz in Europa gibt es hier eine eigenständige Entwicklung. Europäischer Free Jazz - das ist die Adaption des radikalsten, avanciertesten amerikanischen Free Jazz' (nicht Coltrane, sondern Ayler ist das Role Model!), das Überbetonen des Aspektes der offenen Form im europäischen Post-Serialimus, die Amalgamierung von musikalischem Bruitismus resp. verweigerung und Fluxus. Dieser Heterogenität versucht der Vortrag in Form einer Collage gerecht zu werden. Neben ausgiebigen Musikbeispielen, werden (zeitgenössische) Musikerinterviews (bzw.: Ausschnitte daraus) kombiniert mit Textfragmenten aus der Jetztzeit, die in immer neuen Anläufen das Phänomen einer radikal improvisierten Musik umkreisen, die es doch geschafft hat, ein Gedächtnis und ein Bewusstsein ihrer selbst auszubilden. Wichtig ist nicht die Linearität, die es bei so einer vielschichtigen Musik ohnehin nicht geben kann, sondern die Darstellung von Zusammenhang und Unterbrechung, die Dialektik von Kontinuität und Bruch. Der Free Jazz, zumal der aus Europa und das, was aus ihm wurde: nämlich Improvisierte Musik in ihrer emphathischsten Form, ist vielleicht die Musik, die dies am konsequentesten versucht hat zu verwirklichen.

Tipps zum Hören: grundsätzlich den jeweils kompletten Backkatalogue von Labels wie FMP/SAJ, Incus, ICP, Po Torch. Wer Chancen hat, auf Flohmärkten oder edlen Second-Hand-Läden die LPs der Labels zu erstehen: zuschlagen! Auch wenn die Vinylpreise mittlerweile die 50-Marks-Grenze locker überschritten haben. Vieles von dem alten LP-Kram ist mittlerweile auf CD wiederveröffentlicht worden, hauptsächlich von den betreffenden Labels selber, aber auch von Verlagen wie "Atavistic - Unheard Music Series". Die oben genannten Labels verkörpern gewissermaßen die reine Lehre, wer sich ein bisschen umguckt, findet bei Intakt, Moers Music, ja selbst bei ECM und Enja jede Menge Material. Wichtige KünstlerInnen: Peter Brötzmann ("Machine Gun", "Die Like A Dog"), Alexander von Schlippenbach ("The Living Music", "Detto Fra Di Noi", Leiter auch des Globe Unity Orchestras), Hans Reichel ("Death Of The Rare Bird Ymir"), Peter Kowald (alle Solo-Platten, sowie seine Duo-Reihe auf FMP), Evan Parker (Solo-LPs aus den 70ern, "Process and Reality", außerdem sein Mitwirken in den Gruppen Music Improvisation Company und Spontaneous Music Ensemble), Derek Bailey (grundsätzlich: alles, aber besonders seine "Pop"-Experimente und seine Solo-LPs, besonders die auf Cramps, mittlerweile als CD wiederveröffentlicht), Irene Schweizer (frühe Solo-LPs, Trio mit Rüdiger Carl und Louis Moholo), Julie Tippetts (CD mit Willi Kellers und Keith Tippett), AMM ("The Crypt"), Misha Mengelberg (besonders seine Duos mit Han Bennink). Interessant sind auch die Außenseiter (Farnz Koglmann, Sven Ake Johannson, Günter Christmann, Hugh Davies) und die Vergessenen (Martin Theurer, Achim Knispel, Maarten Altena ...). Die vielleicht "kompletteste" Improv (Solo-)LP/CD ever ist vermutlich Paul Rutherfords "Gentle Harm of the Bourgeoise".

Unverzichtbare Literatur: Bert Noglik, Jazzwerstatt International; Eckhard Jost, Europas Jazz